ICEJ (Internationale Christliche Botschaft Jerusalem) 16. Mai 2011
Grenzstürmung am „Nakba“-Tag
Israel hat am Montag angekündigt, Beschwerde beim Weltsicherheitsrat gegen Syrien und den Libanon einzulegen; Grund sind die teilweise erfolgreichen Versuche syrischer und libanesischer Bürger vom Sonntag, gewaltsam nach Israel einzudringen.
Bei den Massenanstürmen am sog. Nakba-Tag (Katastrophentag, gemeint ist der Tag der Staatsgründung Israels) kam es zu Auseinandersetzungen mit der israelischen und auch der libanesischen Armee. An der libanesischen Grenze versammelten sich Tausende Palästinenser sowie libanesische Aktivisten und Hisbollah-Anhänger, die versuchten, die Grenze zu stürmen.
Die Opferzahlen werden unterschiedlich angegeben, israelische Medien berichten von zwei bis vier syrischen und sechs libanesischen Zivilisten, die ums Leben kamen bzw. von insgesamt 14 Toten.
Aus dem Libanon heißt es, zehn Menschen seien allein an der libanesisch-israelischen Grenze getötet und 112 verletzt worden. Ob die Protestler von Kugeln der libanesischen oder der israelischen Armee getroffen wurden, ist noch unklar. Der Libanon hat heute ebenfalls Beschwerde beim Weltsicherheitsrat gegen Israel eingelegt. UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon forderte Israelis und Palästinenser zur Zurückhaltung auf. In einer Stellungnahme der UN heißt es, die Grenzverletzung sei „von syrischer und libanesischer Seite“ ausgegangen.
Syrische Eindringlinge in Majdal Schams
Die israelische Polizei riegelte am Montag den drusischen Grenzort Majdal Schams mit Straßensperren ab und führte Hausdurchsuchungen durch, um syrische Palästinenser, die während der Grenzunruhen am „Nakba-Tag“ nach Israel eingedrungen waren, zu verhaften. Bisher wurde ein Eindringling festgenommen. 137 Personen war es am Sonntag gelungen, die Grenze zu überqueren. Nach Berichten von Ynet vermittelten am Sonntagnachmittag die drusischen Bewohner von Majdal Schams zwischen der israelischen Armee und den syrischen Eindringlingen, die sich schließlich auf ihre Seite der Grenze zurückzogen. Bei den Auseinandersetzungen wurden auf israelischer Seite 13 Personen hauptsächlich durch Steinwürfe verletzt, davon zehn Soldaten.
Der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak verlängerte die ursprünglich bis Sonntagabend verhängte Abriegelung des Westjordanlandes bis Montagmittag, um weiteren Demonstrationen zu begegnen. Die Zurückhaltung israelischer Soldaten habe Leben bewahrt, sagte Barak am Sonntagabend. Das Nordkommando der israelischen Armee hat eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet.
Ausschreitungen im Westjordanland, Todesopfer in Tel-Aviv
Ebenfalls am Sonntag kam es zu mehreren Vorfällen an der Grenze zum Gazastreifen, Dutzende Palästinenser wurden verletzt, einer wurde getötet. Auch in Ostjerusalem und im Westjordanland gab es Ausschreitungen. In Tel-Aviv fuhr ein arabisch-israelischer Lastwagenfahrer auf einer Hauptverkehrsstraße Amok. Der Mann tötete einen israelischen Autofahrer und verletzte 18 weitere Personen.
Proteste in Ägypten und Jordanien
Am Sonntag kam es auch anderswo zu gewalttätigen Zusammenstößen und Demonstrationen. 24 Personen wurden bei Protesten vor der israelischen Botschaft in Kairo verletzt, als die ägyptische Polizei hunderte pro-palästinensische Demonstranten mit Tränengas zurückdrängte. Die jordanische Polizei zerstreute Protestler, die sich dem Allenby-Grenzübergang zu Israel näherten. Jordanien dementierte Berichte, wonach Polizisten zwei Demonstranten erschossen. Die Nakba-Demonstrationen dauerten in Ägypten und Jordanien bis in die Nacht zum Montag an.
Nakba-Tag zeigt neue Realitäten in Nahost – Aufstände gegen Israel als Generalprobe für September
Nahost-Experten in Israel sehen die Grenzstürmungen vom Sonntag als neue und unheilvolle Zeichen einer geänderten arabischen Strategie gegen Israel, inspiriert von den Volksaufständen in der arabischen Welt. Viele glauben, die Zusammenstöße am „Nakba“-Tag (arabisch für Katastrophe) könnten eine Art Generalprobe für weitere Anti-Israel-Aktionen zur einseitigen Ausrufung eines Palästinenserstaates im September darstellen.
Dr. Mordechai Kedar, Arabisch-Dozent und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Begin-Sadat-Zentrum für strategische Studien an der Bar – Ilan – Universität beobachtet vier neue Entwicklungen in der arabischen Welt:
1. Eine neue „Yes, we can!“-Mentalität, das Bewusstsein der Massen, unbewaffnet bzw. ohne scharfe Waffen etwas erreichen zu können, allein mit körperlicher Präsenz. Kedar bezeichnet dies als „nicht konventionelle Waffe der frustrierten Bevölkerung“, die Tunesier, Ägypter, Jemeniten und Syrer teilweise mit großem Erfolg gegen ihre eigenen Herrscher einsetzten und die nun gegen Israel angewendet wird.
2. Facebook und Twitter bieten neue Möglichkeiten, Großdemonstrationen und Massenproteste schnell und effektiv zu organisieren, ohne die Namen der Organisatoren zu offenbaren.
3. Die Beteiligung der libanesischen und syrischen Regierung an den versuchten Grenzstürmungen. Tausende Bürger können in diesen Staaten nicht mit Bussen an die Grenze gekarrt werden, ohne dass eigene Regierung dies weiß und billigt. Es handelt sich um einen Ablenkungsversuch von eigenen internen Unruhen, insbesondere in Syrien, wo die Opferzahlen unter der Bevölkerung immer dramatischer werden. Man will interne Probleme (Libanon, Syrien, Gazastreifen) nach Israel exportieren und die Weltpresse ihre Kameras dorthin richten lassen.
Kedar schreibt dazu: „Syrische Bewohner Deraas brüllten kürzlich in die Kameras: ‚Wir hoffen, dass Israel uns besetzt, weil das syrische Militär grausamer ist als die israelische Armee‘. Das syrische Regime glaubt, dass Leichen in Grenznähe zu Israel die Zivilisten in Deraa ‚wieder zur Vernunft bringen‘ werden.“
4. Die Verbindung zwischen Syrien, Libanon und dem Gazastreifen – die iranische Connection. Diese drei Gebiete befinden sich alle unter dem Einfluss der Ajatollahs in Teheran. Es gibt keinen besseren Tag, um Israel das Chaos im Nahen Osten zur Last zu legen als den 15. Mai, den berüchtigten Tag der “Nakba”.
5. Der „israelischen Faktor“: Israelische Politiker haben in den letzten Jahren immer wieder Zugeständnisse gemacht, wenn der Druck von außen nur groß genug wurde. Die Likud-Partei, die einen Palästinenserstaat immer ablehnte, ist heute bereit, einen solchen zu akzeptieren. Ein geeintes Jerusalem, israelischer Konsens seit Jahrzehnten, steht heute kurz vor der Teilung. Selbst das Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge, einst Anathema quer durch das gesamte politische Spektrum, wird zumindest teilweise von linken Politikern ernsthaft in Erwägung gezogen. Israel wird in der arabischen Welt zunehmend als schwach und erpressbar wahrgenommen.
6. Israels internationale Isolierung: Israel wird in den Augen der übrigen Welt immer mehr zum „Land der Aussätzigen“, schreibt Kedar – dank des klassischen Antisemitismus, der durch europäische Schuldgefühle für den Holocaust und Kolonialismus nur verstärkt wird. „Es ist immer leichter, zerknirscht auf die Brust des Juden zu schlagen als auf die eigene“, so Kedar. Daher wird von Israel erwartet, unter keinen Umständen Gewalt gegen die unbewaffneten „Rückkehrer“ einzusetzen; dies sind Mittel, die nur Gaddafi, Assad und ihresgleichen einsetzen.
Der deutsche Nahostexperte Ulrich Sahm weist zudem auf Israelnetz darauf hin, dass das Völkerrecht Fälle, in denen Tausende Zivilisten eines Feindeslandes auf Initiative oder mit Duldung der eigenen Regierung eine Grenze stürmen, nicht regelt.
Während der Staat, in den eingedrungen wird, das Recht habe, sich gegen feindliche Soldaten zur Wehr zu setzen, gebe es für solche angestachelte Zivilisten keine Regelung. „Für die Palästinenser ist das eine geschickte neue Taktik im Kampf gegen Israel“, schreibt Sahm. „Gleichgültig wie Israel darauf reagiert, mit Minen entlang des Grenzzaunes, scharfen Schüssen, oder gar, indem es Millionen Flüchtlingen unkontrollierten Einlass gewährt, würden die Palästinenser punkten und die Israelis in jedem Fall verlieren.“